Plan

 

In: Günter Schulz: Salomon Maimon und Goethe. In: Vierteljahresschrift der Goethe-Gesellschaft 16, 1954, S. 284-287.

 

Unter allen desideratis im Gebiethe der menschlichen Erkenntniß ist ohne Zweifel eine Theorie der Erfindung zur Erweiterung der Erkenntniß das wichtigste, welche, wenn sie einmal erhalten werden wird, alle übrigen noch mangelnden Theile der menschlichen Erkenntniß mit leichter Mühe werden erhalten werden können. Verschiedene große Männer haben schon längst das Bedürfnis einer solchen Theorie eingesehen. Leibniz spricht von einer characteristica universalis, worunter er die Erfindung allgemeiner Zeichen versteht, die so eingerichtet seyn müssen, wie ungefähr die algebraischen Zeichen, sodaß die Theorie der Zeichen auf das dadurch bezeichnete (und da sie allgemeine Zeichen seyn sollen) auf die Objekte aller Wissenschaften überzeugt, mit Sicherheit, a priori anwendbar seyn sollen. Wolff spricht von einer ars inveniendi, wobei er sich (wie aus einigen Winken die er hierüber geübt zu ersetzen ist) nicht eben diese karacteristica universalis, sondern die Kunst gedacht zu haben scheint, die mit Erfolg, in besonderen Wissenschaften gebrauchten besondern Methoden immer allgemeiner zu machen, so daß sie zuletzt Erfindungsmethoden aller Wissenschaften überzeugt abgeben sollten. Aber so wenig der Eine als der Andere dieser großen Männer hat die Idee die er im Sinne hatte zu realisiren gesucht. Leibnizens characteristica universalis ist und bleibt, meiner Meinung nach, eine bloße Idee die nie realisirt werden wird. Die Allgemeinmachung besonderer Methoden kann sich nur so weit erstrecken, wie weit die Begriffe der Objekte die darnach behandelt werden sollen, allgemeiner gefaßt werden können. Dadurch wirdt man aber nie zur absoluten sich auf Objekte unserer Erkenntniß überzeugt beziehenden Allgemeinheit gelangen. Man wird bloß dadurch allgemeine Formeln erhalten, deren Gebrauch aber sich dennoch um nichts weiter erstrecken wird. Ich bin weit entfernt mir mit der Hoffnung zu schmeicheln, dasjenige ausführen zu konnen, was diese große Männer sich auszuführen getraueten. Doch getraue ich mir ein Werck unter folgendem Titel, dem gelehrten Publiko anzukündigen.

Ueber das wissenschaftliche Genie, oder das Erfindungsvermögen, als Beitrag zu einer Theorie der Erfindung.

In diesem Wercke soll das untersucht werden, worinn das Genie überhaupt bestehe? Ob es ein besonderes Seelenvermögen, oder bloß ein zu der Erfindung erforderliches Verhältniß der schon bekannten Seelenvermögen sey? und im lezten Falle, was für ein Verhältniß es seyn müsse?

2) was das wissenschaftliche Genie sey? und worinn es sich vom dichterischen Genie unterscheide?

3) Sollen die Erfindungen in Arten und Klassen eingetheilt werden, z.B. Erfindung der Objekte die nach einer schon bekannten Theorie, gewißen Zwecken entsprechen sollen. Erfindung der Lehrsäze und Auflößung der Probleme nach schon bekannten Methoden. Erfindung neuer Methoden. Erfindung neuer Theorien und Systeme. Erfindung neuer Wissenschaften. Worin eine jede dieser Arten besteht? und wodurch sie sich von den übrigen Arten unterscheidt? soll auf eine bestimmte Weiße angegeben werden.

4) Veranlaßungen, welche, nachdem sie einmal als solche erkannt wurden, als Mittel zur Erfindung gebraucht werden können.

5) soll darinn gezeigt werden, daß das von einer der Theorie des realen Denkens zum Grund gelegte Prinzip nämlich das transzendentale Verhältniß der Bestimmbarkeit, welches zur Realisirung unserer Erkenntniß dienet, auch zur Erfindung, d.h. Erweiterung unserer Erkenntniß dienen muß; wodurch die Wichtigkeit dieses Prinzipes aufs Neue bestätigt wird. Ich werde zeigen, daß eine jede ächte Erfindung dieses Verhältniß zum Grunde legt, und daß in den Objekten einer jeden falschen (vermeintlichen) Erfindung entweder dieses Verhältniß gar nicht anzutreffen ist, oder die diesem Verhältniß zu subsumirenden Objekt verwechselt worden sind.

6) Eine jede wirkliche Erfindung sezt ihre Möglichkeit voraus. Jede Erfindung sezt, zu ihrer Möglichkeit etwas Gegebenes oder etwas Gesuchtes, und ein, zur Erfindung erforderliches Verhältniß des Gesuchten zum Gegebenen voraus. Ehe man also das Gesuchte durch das Gegebene wirklich bestimmt, muß erst ausgemacht werden, daß es durch dasselbe bestimmbar sey. Ein Beispiel hievon geben uns die Data des Euklides. In diesem Wercke sollen also allgemeine Methoden angegeben werden, nach welchem in jedem zur Erfindung angegebenen Falle, a priori ausgemacht werden kann, a) ob die gegebenen Stücke zur Erfindung des Gesuchten hinlänglich sind? b) ob sie alle dazu erforderlich sind? Damit man nicht, im entgegengesetzen Falle, entweder etwas Unmögliches, oder etwas durch Umwege suche, was geradezu gefunden werden kann. c) Der Beweiß von der Möglichkeit der Erfindung wird zugleich in den mehrsten Fällen, eine Methode abgeben, das Gesuchte wirklich zu finden.

7) soll darinn gezeigt werden die Kunst a priori zu experimentiren d.h. wie man nicht aufs Geratewohl, sondern nach einem vorhergegangenen zweckmäßigen Raisonnement Versuche anstellen soll. Denn da Versuche nichts anders als der Natur zur Beantwortung vorgelegten Fragen sind, und wie es im Sprichwort [am Rande, nach gestr.: Sprachgebrauch] heißt: ein Narr fragen kann, was die Weißheit selbst in Person nicht zu beantworthen vermag, so müßen die Fragen, die man der Natur vorlegt, wenn man nicht vergebens fragen soll, so eingerichtet seyn, daß sie selbst, ohne viele Umwege zu ihrer Beantwortung hinleiten, indem sie dieselbe, aus Gründen a priori gleichsam ahnden lassen. Kurz! es müssen sokratische Fragen seyn. Ein merkwürdiges Beispiel dieser Art Versuche liefert uns Newtons Optik, wie auch neuere Versuche über Licht und Farben, die ich bei Gelegenheit anführen will.

8) Schätzung der Erfindungen d.h. unpartheiische Beurtheilung des wahren Werthes einer jeden bisher gemachten Erfindung nach dem Grade ihrer Brauchbarkeit zur Begründung der Erweiterung unserer Erkenntniß nach den dazu erforderlichen Vorkenntniße und Anstrengung des Geistes, der ihr im Wege gelegenen Hindernisse u.s.w.

Dieße sind ungefähr die Hauptideen nach welchen ich dieses Werck zu bearbeiten willens bin. Ich kenne den weiten Umfang und die Schwierigkeit eines solchen Unternehmens. Doch soll dieses mich nicht abhalten, so viel meine Kräfte es erlauben, diesem Plane gemäß, zur Beförderung unserer Erkenntniß zu wirken.